Internationale Jugendbegegnung in Kreisau (Polen)

2016_kreisau

Die Gruppen der Jugendbegegnung

Schüler der 8. Klasse der Albert-Schweitzer-Schule Sonthofen nehmen an einem Workcamp zum Thema „fair life“ zusammen mit einer polnischen Klasse teil.

Am letzten Abend der Klassenfahrt schaut Melanie das Fußballspiel Portugal gegen Polen. Neben ihr Kasper, ein polnischer Schüler mit dem Smartphone in der Hand. Das Smartphone wird hin- und hergereicht. Mit einem Onlineübersetzer unterhalten sie sich über das Spiel, über die letzte Woche und vieles mehr. Beide haben sich bei einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung in Kreisau (Polen) kennengelernt. Melanie aus Sonthofen im Allgäu und Kasper aus Kepno in Niederschlesien in Polen.
Möglich wurde diese neue Freundschaft durch die internationale Jugendbegegnungsstätte Kreisau in der Nähe von Wroclav (Breslau) in Niederschlesien. Hier haben beide mit ihren Klassen am Workcamp „fair-life“ teilgenommen.
Die gemeinsame Woche wurde von Edyta Rogowska und Mario Mietschke, zwei junge Mitarbeiter der Kreisau-Initiative Berlin geleitet. Beide sprechen Polnisch und Deutsch. Sie arbeiten in Kreisau mit internationalen Gruppen unterschiedlicher Schularten, sozialer Schichten und Begabungen. Ziel der Begegnungen ist immer den eigenen Horizont zu erweitern, Interesse für andere Menschen und Länder zu wecken, Umgang mit Vielfalt praktisch erlebbar zu machen, Austauche über Grenzen hinweg zu ermöglichen und soziale und interkulturelle Kompetenzen zu erweitern.

Timo aus Sonthofen ist nach kurzer Zeit sehr beliebt in der polnischen Gruppe. Er ist ein kontaktfreudiger sportlicher Fünfzehnjähriger, der mit seinem Körper spricht und immer zu Scherzen aufgelegt ist. Auch ohne Polnisch bringt er die polnischen Jungs und Mädchen auf seinem Gang schnell zum Lachen. Ein wesentliches Element des Workcamps sind Sporteinheiten, bei denen Sportarten vermittelt und Fairness im Spiel erlernt wird. Das kommt Timo sehr zu gute, denn er bewegt sich gerne und ist am liebsten sportlich aktiv. In der Schule hat er seine Schwierigkeiten, denn bei ihm wurde ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom) festgestellt. Am liebsten mag er Fußball, zeigt aber auch bei der neu erlernten Sportart Palant (polnisches Baseball) großes Talent. Hier in Kreisau fällt er durch sportlichen Ehrgeiz auf und ist ein hervorragender Teamplayer. Die polnischen Jungs klopfen ihm auf die Schulter.

Das kleine, malerisch gelegene Dorf Kreisau liegt in Niederschlesien, etwa 60km südwestlich von Wroclaw/ Breslau. Etwa 200 Menschen leben im Ort. Obwohl recht abgelegen und klein, verfügt Kreisau über eine reiche Geschichte. 1250 erstmals urkundlich erwähnt, ist der Ort, in dem 1867-1945 die Familie Moltke lebte, bis heute wegen zweier Ereignisse bekannt: Zum einen traf sich hier während des zweiten Weltkriegs 1942 und 1943 die Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ und erarbeitete Ideen für ein demokratisches Deutschland nach der NS-Diktatur. Zum anderen fand auf dem Gelände des Guts am 12. November 1989 die „Versöhnungsmesse“ statt – ein Gottesdienst, an dem die damaligen Regierungschefs Polens und Deutschlands, Tadeusz Mazowiecki und Helmut Kohl teilnahmen und der heute als Markstein in der deutsch-polnischen Beziehung gilt.
Die Begegnung im Workcamp „Fairlife“ lebt wesentlich von den Methoden und der Persönlichkeiten der Projektleiter. Edyta Ragowska ist Polin, 27 Jahre alt, leitet seit 1 ½  Jahre internationale Jugendbegegnungen für die Kreisau-Initiative. Vorher hat sie an vielen internationalen Seminaren zum Thema Jugendbegegnung teilgenommen. Sie hat Soziologie in Polen studiert und mit Master abgeschlossen. Jetzt arbeitet sie als Sozialpädagogin in einer temporären Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge in Berlin. Zusammen mit dem deutschen Mario Mietschke aus Leipzig, der mehrere Jahre in Polen gelebt hat, leitet sie das Workcamp. Sie ist bei den deutschen Jugendlichen sofort sehr beliebt. Ihre offene, spontane und kommunikative Art, ihr selbstsicheres Auftreten und ihre jugendliche Sprache motivieren zur Mitarbeit. Die Angebote und Workshops sind immer praktisch angelegt. Austausch im Plenum wechselt sich ab mit Gruppenphasen, Partnerarbeit, kooperativen Spielen, musischen und sportlichen Angeboten. Dabei sind polnische und deutsche Schüler immer zusammen. Arbeitsaufträge und Redebeiträge werden immer in beide Sprachen übersetzt. So gelingt, was unmöglich scheint: Kontakte, Kommunikation und Begegnung auch ohne die Sprache des anderen zu sprechen.

Melanie unterhält sich weiter mit Hilfe des Onlineübersetzers mit Kasper, auch als das Spiel schon zu Ende ist. Vielleicht tröstet sie ihn über die Niederlage der polnischen Mannschaft hinweg. Bei der Verabschiedung am nächsten Tag sind die deutschen Schüler sehr leise. Sie bekommen von der polnischen Gruppe einen Schläger für das Palant-Spiel, das sie im Lauf der Woche gelernt haben, und viel Süßes geschenkt. Auf der Heimfahrt sind die Gefühle sehr gemischt. Manche fuhren mit dem Vorurteil nach Polen, dass man beklaut wird. Nach Hause fahren sie mit der Erfahrung, reich beschenkt worden zu sein. Und dank der sozialen Netzwerke geht der Kontakt von Melanie und Kasper auch zu Hause noch weiter.

(Steffen Buser)

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